Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (kurz BAF) wird für viele Piloten erst dann zu einem Begriff, wenn Regelverstöße zu saftigen Bußgeldern führen. Um zu verstehen, welche Aufgaben das BAF hat und nach welchen Grundsätzen Entscheidungen getroffen werden, hat sich Claus Cordes mit dem Direktor des BAF, Dr. Karsten Baumann, getroffen und ihm einige Fragen gestellt.
Claus Cordes: Vielen Dank, dass Sie unserer Einladung zu einem Interview gefolgt sind.
Karsten Baumann: Ich freue mich sehr über Ihr Interesse am BAF und die Gelegenheit, unsere Aufgaben darstellen zu dürfen. Hierzu existieren viele Gerüchte und Halbwahrheiten - deshalb ist uns Transparenz immens wichtig.
Claus Cordes: Die wichtigste Frage zuerst: Sie sind selbst Pilot, wie ich gehört habe?
Karsten Baumann: Das stimmt. Ich habe die PPL(A) seit 18 Jahren, seit einigen Jahren mit Instrumentenflugberechtigung. Seitdem bin ich knapp 1100 Stunden geflogen und möchte keine einzige davon missen.
Mit meiner Begeisterung für die Fliegerei bin ich im BAF übrigens nicht allein. Eine ganze Reihe von Beschäftigten hat einen fliegerischen Hintergrund, vom Segelflieger bis zum Fluglehrer oder ATPL-Inhaber.
Claus Cordes: Welches sind die wichtigsten Aufgaben des BAF?
Karsten Baumann: Das BAF ist die nationale Aufsichtsbehörde über die in der Bundesrepublik Deutschland tätigen zivilen Flugsicherungsorganisationen und wurde 2009 gegründet, um die europäischen Regelwerke über den einheitlichen europäischen Luftraum (Single European Sky) auf nationaler Ebene umzusetzen. Wir beaufsichtigen und zertifizieren über 30 Flugsicherungsorganisationen. In diesem Kontext wurden uns auch sämtliche nicht-operativen Aufgaben im Zusammenhang mit der Flugsicherung bzw. Luftraumnutzung zugewiesen, etwa die Erteilung allgemeiner Erlaubnisse zum Durchflug durch Flugbeschränkungsgebiete. Darüber hinaus lizenzieren wir das Flugsicherungspersonal, wachen über die Einhaltung der Anforderungen an flugsicherungstechnische Einrichtungen und die Flugvermessung, sichern die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Flugsicherungsorganisationen und wirken an deren wirtschaftlicher Regulierung mit. Wir legen die Flugverfahren für Flüge nach Instrumentenflugregeln und, wo anwendbar, Flüge nach Sichtflugregeln fest und vieles mehr. Außerdem ist unsere Aufgabe, Ordnungswidrigkeiten mit Luftraum- bzw. Flugsicherungsbezug zu verfolgen.
Claus Cordes: Zum letzten Punkt, der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, existieren vermutlich die meisten Missverständnisse, wenn man den Geschichten, die auf Flugplätzen erzählt werden, folgt. Welches sind denn die häufigsten Verstöße?
Karsten Baumann: Im Bereich der Allgemeinen Luftfahrt treten ganz eindeutig die Luftraumverletzungen – das Eindringen in einen freigabepflichtigen Luftraum ohne Flugverkehrskontrollfreigabe – am häufigsten auf, und zwar mit rund 300 Fällen pro Jahr. Mit gehörigem Abstand folgen Abweichungen von Einzelfreigaben mit ca. 100 Fällen pro Jahr sowie Verstöße bei Bewegungen am Boden mit etwa 50 pro Jahr. Das sind meistens Runway-Incursions (Anm. der Redaktion: Jeglicher Vorfall auf einem Flugplatz, der das unerlaubte Eindringen eines Flugzeugs, Fahrzeugs oder einer Person in den Sicherheitsbereich einer Fläche, welche für Starts und Landungen von Flugzeugen vorgesehen ist, beinhaltet.) Betroffen sind fast ausschließlich Piloten des Motorfluges.
Claus Cordes: Nun hört man oft, dass im BAF Bußgelder in saftiger Höhe „nach Gutsherrenart“ verhängt werden. Was entgegnen Sie auf diese Kritik?
Karsten Baumann: Nach § 17 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) sind die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft, sowie – mit zweitrangiger Relevanz – die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters Grundlagen für die Zumessung der Geldbuße.
Die Bedeutung einer Ordnungswidrigkeit ist an dem vom Gesetzgeber für jeden einzelnen Tatbestand festgelegten Höchstbetrag der möglichen Geldbuße abzulesen. Dieser Höchstbetrag lautet bei Verstößen gegen die Luftverkehrs-Ordnung (LuftVO) bei fahrlässigem Handeln durchgehend auf 25.000 Euro, bei Verstößen gegen die EU-VO 923/2012 [SERA] auf 15.000 Euro, und übersteigt damit wesentlich die Höchstandrohungen für die übrigen Verstöße gegen luftrechtliche Bestimmungen bzw. sonstige verkehrsrechtliche Bußgeldtatbestände. Man denke beispielsweise an straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeiten.
Der in § 17 OWiG genannte Vorwurf, der den Täter trifft, hängt naturgemäß vom vorliegenden Sachverhalt ab und kann, insbesondere bei luftverkehrsrechtlichen Verstößen, nur im Wege einer Einzelfallentscheidung beurteilt werden. Einen Bußgeldkatalog, wie dieser beispielsweise im Straßenverkehr angewandt wird, gibt es hier nicht. Das würde im Luftverkehr auch keinen Sinn machen, da jedes Fluggeschehen von einer Vielzahl von Einzelfaktoren abhängt: Flugerfahrung des PIC, Flugwetter, Windverhältnisse, Thermik, Verkehrssituation etc.
Im Schnitt belaufen sich die verhängten Bußgelder auf 400 bis 500 Euro. Hierbei gilt: Je schwerwiegender der Verstoß und die hierdurch gegebenenfalls bewirkte Gefährdung, desto höher die Geldbuße. Allerdings haben in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Verfahrenseinstellungen sowie Verwarnungen – zumeist mit 50 Euro Verwarnungsgeld – zusammen über 50 Prozent der Verfahrensabschlüsse ausgemacht.
Von „Geldbußen nach Gutsherrenart“ kann also keine Rede sein. Vielmehr nimmt das BAF seine Aufgaben im OWi-Bereich mit sehr viel Augenmaß und einem hohen Grad an fachlicher Expertise wahr, was auch zunehmend von Vereinigungen und Verbänden im Bereich des Luftverkehrs wie bspw. der Vereinigung Cockpit so gesehen wird.
Claus Cordes: Stimmt es, dass es nicht im Ermessen eines Fluglotsen liegt, ob er eine Luftraumverletzung, z. B. einen kurzen, „harmlosen“ Einflug in einen Luftraum C ohne Freigabe, meldet, oder ob er den Flug verfolgt und versucht, den Piloten ans Telefon zu bekommen und mit ihm oder ihr über den Vorfall zu reden?
Karsten Baumann: Das stimmt, und zwar aus guten Gründen! Gemäß § 63 LuftVG ist das BAF die zuständige Verfolgungsbehörde für luftverkehrsrechtliche Verstöße und nicht die Flugsicherungsorganisationen bzw. die Fluglotsen. Deshalb ist es auch die Aufgabe des BAF, das pflichtgemäß auszuübende Ermessen nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten anzuwenden.
Die Flugsicherungsorganisationen sind angewiesen, jeden Vorfall in den Tagesbericht der jeweiligen Flugverkehrskontrollstelle einzutragen. Das BAF als zuständige Aufsichtsbehörde nimmt Einsicht in diese Tagesberichte und greift die objektiv verfolgungswürdigen Fälle auf. So ist gewährleistet, dass nicht sachfremde Erwägungen, beispielsweise eine Bekanntschaft zwischen Lotsen und Pilot, Prominenz des Piloten, Einfluss auf die Ermessensausübung haben. Außerdem stellen wir dadurch sicher, dass – unabhängig davon, mit welcher Flugsicherungsorganisation der betroffene Pilot Kontakt hatte oder hätte haben müssen – eine einheitliche Beurteilungs- und ggf. Ahndungspraxis greift, in der vergleichbare Fälle nach gleichen Kriterien und Maßstäben gehandhabt werden.
Claus Cordes: Inwiefern kommen bei der Beurteilung von Verstößen die Grundsätze der Gerechtigkeitskultur zur Anwendung?
Karsten Baumann: In der EU-Verordnung 376/2014 lautet die offizielle Übersetzung von "Just Culture" „Redlichkeitskultur“. Davon werden zwei wichtige Sachverhalte berührt, die sich auf den ersten Blick ausschließen. Im BAF sind wir der Meinung, dass wir einen guten Weg gefunden haben, beiden Themen bestmöglich Geltung zu verschaffen.
Die wichtigste Nachricht an alle Piloten lautet: Niemand muss befürchten, sich durch eine Ereignismeldung einem OWi-Verfahren auszusetzen oder in einem OWi-Verfahren Nachteile zu erleiden. Deshalb können wir mit gutem Gewissen sagen: Melden Sie jedes sicherheitsrelevante Ereignis!
Im BAF haben wir eine strikte Trennung zwischen dem Bereich vorgenommen, der Ereignismeldungen bearbeitet, und dem Bereich, der für Ordnungswidrigkeiten zuständig ist. Damit stellen wir sicher, dass Ereignismeldungen nicht in OWi-Verfahren genutzt werden. Eine Ereignismeldung als solche führt also, außer in krassen Ausnahmefällen wie bei Vorsatz u. a., niemals zur Einleitung eines OWi-Verfahrens. Dies gilt übrigens für alle Meldungen, egal ob sie an das BAF, das LBA oder an die BFU gerichtet sind, und sogar für Meldungen an den DAVVL wegen Vogelschlägen oder an die APEG bei gefährlichen Annäherungen.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die Abgabe einer Ereignismeldung nicht vor der Sanktionierung schützt, wenn das entsprechende Verfahren aufgrund anderweitiger Erkenntnisse eingeleitet worden ist, beispielsweise weil ein von Fluglärm genervter Anwohner einen Verstoß gegen ein Abflugverfahren angezeigt hat. Dann führt eine etwaige Ereignismeldung des Piloten nicht dazu, dass das OWi-Verfahren nicht durchgeführt werden würde.
Claus Cordes: Sicher hat auch das BAF großes Interesse daran, die Anzahl der Verstöße nachhaltig zu senken. Was tun Sie dafür?
Karsten Baumann: Ein wichtiger Schwerpunkt unserer Arbeit sind Aufklärungsmaßnahmen, um präventiv zu wirken. Dazu zählen Vorträge auf Luftfahrtmessen, Pilotentagen, Fliegerabenden in Vereinen etc., die Erstellung und Verbreitung von Druckwerken, beispielsweise der Flyer „Luftraumverletzungen sind vermeidbar“, sowie die Mitwirkung an Awareness-Kampagnen von Flugsicherungsorganisationen.
Wir sind außerdem der Meinung, dass jede im Bereich Luftfahrt tätige Institution, ergo auch der DAeC, als Multiplikator auf die Luftverkehrsteilnehmer einwirken kann, sich intensiv auf ihre Flüge vorzubereiten. Allein damit könnte die Zahl der Verstöße deutlich reduziert werden, denn fast immer sind es nicht Vorsatz oder Ablehnung von Regeln, sondern lückenhafte Flugvorbereitung und damit schlicht Unkenntnis z. B. über Luftraumstrukturen und Flugverfahren, die zu Verstößen führen.